Die Frage: »Kannst du uns etwas über deine Arbeit erzählen?« ist wohl der meist verwendete Einstieg in ein Künstler*innengespräch. Eine voraussetzungslose Aufforderung, die künstlerische Arbeit – das Kunstwerk, zu erklären. Die Ausstellung working title betrachtet diese Aufforderung nur als vermeintlich voraussetzungslos: Lässt doch der Blick auf das künstlerische Produkt die Verhältnisse und Strukturen, unter denen künstlerische Arbeit stattfindet, sowie die Auseinandersetzungen, die mit dem künstlerischen Arbeitsprozess einhergehen außen vor. Ausgehend von diesen Überlegungen präsentiert working title Kommentare und Dokumentationen, welche ihr Blickfeld besonders auf künstlerische Produktion und Arbeitsbedingungen verlagern. Der Hintergrund wird zum Gegenstand. Die teilnehmenden KünstlerInnen verschiedener Disziplinen zeigen ihre Strategien im Umgang mit den Rahmenbedingungen, in denen ihre künstlerische Arbeit stattfindet. All diese Versuche werden an die Scheiben des Ausstellungsortes BLECH projiziert und jede Woche neu kombiniert. Die Betrachtung dieses Hintergrundes, die individuellen künstlerischen Arbeitsbedingungen, Strategien und Gegebenheiten – soll bestenfalls zeitgemäße Erkenntnisse über die Möglichkeiten von Kunst sowie das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft fördern.
beteilligte Künstler*innen:
Klara Binnewitt (DE)
Abhishek Chaudhary (IND)
Andrew Hauner (US)
Isabelle Hucht (DE)
Katarina Hudacinova (SK)
Juliane Maria Hoffmann (DE)
Peter Kolarcik (SK)
Pommelien Koolen (BEL)
Ros Lawless (UK)
Minami Nishinaga (JP)
Nicola Novello (IT)
Vojtech Novak (CZ)
Barbora Müllerova und Pavel Kuja (CZ)
Yasutomo Ota (JP)
Carsten Tabel (DE)
Die Arbeit von Paula Schneider beschäftigt sich mit dem inneren Monolog, einer Erzähltechnik der Literatur. Beim inneren Monolog verschwindet der Erzähler und als Außenstehender erfährt man die Gedanken, die eine Figur zu sich selbst spricht.
Text: Jule Reuter
Paula Schneider verbindet den Moment der Nähe, den man zu der Figur entwickeln kann (im konkreten Fall zu Fräulein Else von Arthur Schnitzler) mit der Nähe zu sich selbst, indem sie die BesucherIn zwischen einen Spiegel und einen gegenüberhängenden, in Spiegelschrift geschriebenen Text führt. In diesem Zwischenraum überlagern sich literarische Textfragmente mit dem eigenen Spiegelbild und Gedankenstrom.
In einem leer stehenden Ladenlokal in einer Passage des Flughafens Halle/Leipzig findet von Februar bis Mai eine Ausstellungsreihe statt. In der gemeinsam mit Philippa Jochim und Lea Rohde konzipierten Ausstellung versuchen wir, die Architektur der anderen Geschäfte in der Passage aufzunehmen. Reisebüros, in denen Personen unter Leuchtschildern auf weißen Stühlen auf ihre Kunden warten. Die Reise, die wir anbieten, ist eine zum Hören. Die Passanten und Gäste in der Passage treten zum Schalter und bekommen dort Kopfhörer und Audioplayer ausgehändigt, mit denen sie sich frei im Flughafengebäude bewegen können. Drei Hörstücke behandeln verschiedene Aspekte des Flughafens. Mein Hörstück heißt: „Sehen und Hören am Flughafen Halle/Leipzig, – vermischte Stunden.“
Eine Woche lang bin ich jeden Tag am Flughafen gewesen, zu verschieden Uhrzeiten. Habe das Geschehen dort schriftlich dokumentiert. Wie klingen die Rollkoffer auf den Steinplatten? Kreischende Kinder auf den Laufbändern? Später wird der Text eingesprochen. Der/Die Besucher*in sieht Rollkoffer, während er beschrieben bekommt, wie sie klingen. Es entsteht eine seltsame Raumverschiebung.
Der Ausgangspunkt der Arbeit für die Ausstellung in der Burg2 Galerie war der Fund der Betriebsakten der ehemaligen VEB Gebäudetechnik Halle, im Frühjahr 2016. Angehäuft in einer ehemalige Großküche den Raum füllend bis unter die Decke. Aktenordner, Bauzeichnungen, Zahlenreihen auf Rollen, lose Papierstücke, Quittungen, ─ ein Konvolut aus Papier der Betriebsbürokratie. Es befinden sich unter dem Material auch zwei Archivkisten mit Fotos von Arbeits-, Maschinen-, Alltags- und Festivitätsdokumentationen des Betriebes.
Gemeinsam treffen Catherine und ich eine Auswahl von Bildern, zu denen ich eine neue Erzählung schreibe. Eingelesen vom Sprechwissenschaftler Sascha Blumtritt ist es dem Besucher der Ausstellung möglich, die Bilder in Kombination mit der über Walkmans gehörten Erzählung zu betrachten.
Lob des Tors ist ein Text, der auf großen Aufstellern plakatiert im öffentlichen Raum erscheint. Die Aufsteller stehen auf dem Steintor, einem zentralen Platz in Halle an der Saale. Der Text spricht die Leser*innen direkt an und versucht sie anzuregen, den Platz zu beobachten in einer Weise, wie es Georges Perec in seinem »Versuch, einen Platz in Paris zu beschreiben» gemacht hat: das Bedeutunglose sehen, wenn nichts zu sehen ist »(…) außer Zeit, Menschen, Autos und Wolken.« Der Text ist auf vier Aufsteller verteilt, so müssen sich die Leser*innen quer über den Platz bewegen, um den vollständigen Text zu lesen. Gleichzeitig ist er aber auch so konzipiert, dass es möglich ist, im vorbeigehen nur ein Teilstück zu lesen.
Gleichzeitig sind auf anderen Aufstellern zwei Grafiken von Thea Kleinhempel zu sehen, zu denen der Text über den Umweg des Malers Giotto bezug nimmt.Auf 4 Aufstellern gliedert sich der Text in ein A-Z.
Fassaden
Auszug aus »Lob des Tors«
Auszug aus dem etymologischen Wörterbuch:
Fassade f. ‘Vorderseite, ansehnlichste Seite eines Gebäudes, äußeres (trügerisches) Erscheinungsbild’. Der Bauterminus ital. facciata ‘Vorderseite’, eigentlich ‘Gesichtsseite’, abgeleitet von ital. faccia ‚Gesicht’
Das erste Ausstellungskapitel »Die Bewegung Schreibender Arbeiter« widmet sich der Geschichte eines der größten Hallenser Industriebetriebe, dem Waggonbau Ammendorf. Ab 1960 leitete die Schriftstellerin Christa Wolf gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Gerhard Wolf, im Waggonbau einen Zirkel Schreibender Arbeiter. Ein Jahr zuvor war auf einer Autor*innenkonferenz in Bitterfeld eine engere Verknüpfung zwischen Werktätigen und Künstler*innen in der DDR beschlossen worden.
Der sogenannte »Bitterfelder Weg« sollte die Arbeiter*innen ermutigen, selbst kulturell tätig zu werden und führte zahlreiche professionelle Schriftsteller*innen in die Betriebe. Anhand der im Ammendorfer Zirkel Schreibender Arbeiter ab den sechziger Jahren entstandenen Literatur und weiterer Quellen werden gesellschaftliche Deutungen von Arbeit und Kultur aufgerufen. Arbeitsideale der DDR werden ebenso thematisiert wie historische Prozesse kultureller Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens- und Arbeitswelt. Der Industriebetrieb wurde in der DDR ideell zum sozialen Zentrum und Mittelpunkt kultureller Bildung. Die Trennung zwischen Arbeit, Kultur und Leben, sowie die Entfremdung zwischen Arbeiter*innen, Künstler*innen und Gesellschaft sollte überwunden werden.
Kapitel 2
»Einheit, Arbeit, Wachsamkeit«
19.03.2021 bis 25.04.2021
Auch in der DDR herrschte ab den siebziger Jahren ein Arbeitskräftemangel, vor allem in jenen Branchen, in denen immer weniger Ostdeutsche selbst arbeiten wollten. Daher warb die DDR ab 1975 Arbeiter*innen außerhalb Europas an. Das zweite Ausstellungskapitel »Einheit, Arbeit, Wachsamkeit« wirft mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR ein Schlaglicht auf das Leben ehemaliger Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik.
Es zeichnet die Geschichte der Völkerfreundschaft zwischen der DDR und der ehemaligen Volksrepublik Mosambik nach und stellt die Frage, was davon heute noch übrig geblieben ist. Im Verlauf der achtziger Jahre wurden Vertragsarbeiter*innen aus der jungen sozialistischen Volksrepublik Mosambik angeworben. Auch im VEB Waggonbau Ammendorf waren bis 1991 über 600 mosambikanische Vertragsarbeiter*innen tätig. Der Blick auf ihre Lebenswirklichkeiten wirft Fragen über Ideal und Realität der proklamierten internationalen Solidarität auf: Angeworben mit einem Ausbildungsversprechen sollten sie vor allem kostengünstige Arbeitskräfte sein. Mit zeitlicher Befristung und ohne staatliche Integrationsabsicht wurden die Vertragsarbeiter*innen meist getrennt vom Rest der Bevölkerung in Wohnheimen untergebracht; sie waren schon vor den Pogromen der neunziger Jahre Diskriminierungen und Angriffen ausgesetzt.
Der Titel dieser Arbeit ist die deutsche Übersetzung von „Toute la mémoire du monde“, dem Kurzfilm von Alain Resnais über die Nationalbibliothek in Paris. Das Thema des Archivs, der Versuch des Menschen, Wissen zu sortieren, zu bewahren, zieht sich durch meine künstlerische Arbeit.
Meine Diplomarbeit befasst sich in einer losen Art und Weise mit dieser Thematik. Ich finde im Schreiben eine Möglichkeit, Gelesenes, Gefundenes, Beobachtetes, Erfundendes zu kombinieren und zu einem geschlossenen Kosmos in der Erzählung »Tage die sich in Jahre fügen« zusammen zu bringen. Die zwei Protagonisten der Erzählung beobachten die Welt um sich herum, versuchen sie in eine für sie schlüssige Ordnung zu bringen – sie einzuordnen. Diese Sortierung der Wahrnehmung, die jeder Mensch vollzieht, beruht auf eigenen Erfahrungen, Stimmungen, Phantasien. Sie verortet die Protagonisten in ihrem Leben oder hilft ihnen, sich diesem zu entziehen. Aus dem wahrgenommenen alltäglichen Weltgeschehen entsteht wieder eine neue Welt, die sich als ein Gerüst zwischen verschiedenen Koordinatensystemen aufspannt.
Die Installation die zu dem Text entstanden ist, ist ein Hybrid zwischen Setzkasten und Bibliotheksregal.
Seine Wahrnehmung des Momentes hatte zu einer Art Vakuum geführt, welches ihn dazu gebracht hatte die Situatione überscharf zu beobachten. Die gefühlte Zeitschleife war vielleicht die Auflösung des Moments als Abfolge, die sich zufällig im Weltgeschehen an diesen beiden Orten ereignet hatte und die durch eine besondere Kombination aus Weltversatzstücken eingetreten war. Vielleicht war jedoch auch bloß er selbst das verknüpfende Element. Gab es keine tieferen Zusammenhänge als seine zufälligen Beobachtungen und sein Erinnern?
Auszug aus der Erzählung »Tage die sich in Jahre fügen«